Andreas Felger, Lamm Gottes, (Raumansicht 3), 1990
Öl auf Holz mit Blattgold © AFKS
Andreas Felger, Lamm Gottes, (Raumansicht 2), 1990
Öl auf Holz mit Blattgold, © AFKS
Andreas Felger, Lamm Gottes, Schöpfung, Versöhnung, 1990–91
Holzrelief (Öl auf Holz mit Blattgold) und Glasfenster, 750 x 80 cm © AFKS
LAMM GOTTES
1990
ÖLFARBE AUF HOLZ
160 X 160 X 12 CM

 

Das Lamm Gottes in der Versöhnungskirche in Schorndorf steht im Zentrum einer Werkgruppe, die so unterschiedliche Materialien wie Holz, Glas, Stein und Stoff zu einer thematischen Einheit verbindet: Versöhnung, Vergebung, Gnade. Das kapitale Altarrelief zeigt die in der Johannesoffenbarung beschriebenen sieben Augen des Lamms, denen sieben siegel- oder wappenartigen Formen darunter ebenso antworten wie sieben unregelmäßige Rechtecke, die das Tier oben und rechts einrahmen. Augen, Siegel und Tableau ergeben eine weitgehend textgetreue Übertragung der biblischen Erzählung.

Ungewöhnlich hingegen ist die bildkünstlerische Form: Die erhabenen Schichten des Reliefs sind teils Landschaft, teils Architektur, teils Kreuzeskomposition, und überschreiten die Flächigkeit ebenso wie die rechten Winkel konventioneller Bildformen, indem einige Elemente des Werks, so zum Beispiel das Blut des Tiers, über das mittlere Hochrechteck mit Kreuz und Lamm hinausgeführt werden. Deutlicher könnte Andreas Felger seinem Bestreben, über die Grenzen des Bildes hinauszugelangen, kaum Ausdruck verleihen. Das Bild tritt über die Ufer, greift auf die Wandfläche aus, wölbt sich Richtung Betrachter und zeigt seine materielle Substanz.

Wenn das Relief Material und Zeichen einer Überflutung ist, so sind die umgebenden, korrespondierenden Gestaltungen die Ebenen, in denen der Fluss seinen Weg findet. Der Blutfluss des Lamms, das Wasser am Fuß des Paradiesbaums (dem Ort, an dem die vier Paradiesströme entspringen, vgl. Gen 2,10 EU), der Fluss des Lebens, der Vater und der verlorene Sohn werden vereinigt: All dies findet sich – abstrahiert – schließlich auch in Felgers dynamischen Glasstrukturen an einer der Seitenwände wieder, die dieses Leitmotiv in den Raum hinein erweitern und ihn erfüllen. Die vertikal aufstrebende Kirchenarchitektur wird diagonal und horizontal zum Fließen gebracht.

Der Begriff der Versöhnung kann hier auch so verstanden werden: Die ganze Breite der unterschiedlichen von Felger geschaffenen Werke findet zu einem in sich ausgewogenen Ganzen zusammen, vom Türgriff über die Paramente zum Altartisch und schließlich über das Taufbecken und die Glasfenster zum zentralen Holzrelief mit dem Lamm Gottes. Hier gehen exemplarisch die einzelnen Gestaltungseinheiten in ein größeres Ganzes, ein Gesamtkunstwerk ein.

Text von Marvin Altner

Marvin Altner ist promovierter Kunsthistoriker und Dozent für Kunstwissenschaft an der Universität Kassel. Nach einem Volontariat an der Hamburger Kunsthalle in Hamburg war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator an Berliner und Hamburger Museen sowie als freischaffender Autor im Bereich der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart tätig. Seit 2012 lehrt er an der Kunsthochschule Kassel im Studiengang Kunstwissenschaft und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Andreas Felger Kulturstiftung, unter anderem als Autor, Ausstellungskoordinator und Betreuer der Datenbank der Werke von Andreas Felger.