Andreas Felger, Selbstporträt, 1959
Pastell auf Papier, 16,5 x 10,8 cm © AFKS
SELBSTPORTRÄT
1959
PASTELL AUF PAPIER
16,5 x 10,8 CM

 

Mit 41 Jahren, im November 1976, schreibt Andreas Felger in eines seiner vielen Blankobücher, die zumeist nur sparsam beschrieben werden und daher mehr Skizzen- als Tagebücher sind: „[D]as, was wir tief in unserem Innern mit uns herumtragen an Eindrücken, an Bildern von Landschaften, Begegnungen mit Menschen, schreckliche und schöne Dinge, das ist es, was ein Bild, eine Impression in Holz oder Farbe ausdrücken soll. So dass beim einen oder anderen Betrachter ein plötzliches Aufleuchten, ein Erkennen da ist. Er findet sich selbst wieder!“

Das Werk ist für den Künstler das Resultat der Zwiesprache mit sich selbst, für den Betrachter ist das Werk der Anlass des Selbst-Gesprächs. Gelingt es, artikulieren beide etwas, das sie spiegelt und (be-)trifft. Vermittelt durch die Gegenstände, seien es Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen oder Installationen, entstehen Berührungspunkte zwischen Andreas Felger und den Betrachter_innen seiner Werke. Das Selbstporträt eines Künstlers ist ein Sonderfall dieser Begegnung: Wie erkenne ich im Selbstbild des Künstler etwas Eigenes?

Mit markanten, kräftigen Strichen setzte der Künstler die Säule des Nasenrückens, von der die beiden Bögen der Augenbrauen ausgehen, kubisch rahmend die Kontur des Haars, das als kompakte Form aufgefasst wird. Der Kopf sitzt nicht ganz mittig auf dem Hals und der Hals endet auf breiten Strichen, die eher an Felgers Landschaften als an einen Oberkörper erinnern. Eine gewisse Unverbundenheit der Teile, wenn nicht gar ihre Dissoziation wird erkennbar und setzt sich im Gesicht fort. Nicht nur farblich wird das Gesicht geteilt, auch formal wird eine Spaltung angedeutet, die an viele der kubistischen Menschendarstellungen Picassos erinnert, das Auseinanderfallen eines Gesichts in eine Profil- und eine en face-Ansicht. Dem entspricht der Ausdruck des Blicks, introspektiv-melancholisch die rechte Hälfte, kritisch nach außen gerichtet die linke.

So zeigt sich in den klaren kraftvollen Farbstrichen eine schwierige Auffassung des Gegenübers, fragend, zweifelnd, dezent gebrochen. Welcher Betrachter wüsste nicht aus eigener Erfahrung um die emotionalen Dispositionen, die einem solchen Selbst-Bild entsprechen und könnte sich darin wiedererkennen?

Text von Marvin Altner

Marvin Altner ist promovierter Kunsthistoriker und Dozent für Kunstwissenschaft an der Universität Kassel. Nach einem Volontariat an der Hamburger Kunsthalle in Hamburg war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator an Berliner und Hamburger Museen sowie als freischaffender Autor im Bereich der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart tätig. Seit 2012 lehrt er an der Kunsthochschule Kassel im Studiengang Kunstwissenschaft und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Andreas Felger Kulturstiftung, unter anderem als Autor, Ausstellungskoordinator und Betreuer der Datenbank der Werke von Andreas Felger.