Andreas Felger, Corona IX, 2020
Aquarell auf Papier, 21 x 13 cm © AFKS
CORONA IX
2020
AQUARELL AUF PAPIER
21 x 13 cm

 

Der Künstler Andreas Felger malt im März 2020 neun Aquarelle, in denen er sich mit der Ausbreitung des Corona-Virus auseinandersetzt und wie dieser sich auf sein eigenes sowie auf das gesellschaftliche Leben auswirkt. Neun Bildmotive, denen spätere weitere folgen werden, unter dem Titel CORONA, die soziale, individuelle sowie naturbezogen Lebenssituationen zeigen, allesamt durchdrungen von dem „einen“ alle und alles umfassenden und beherrschenden Virus, COVID-19. Der Künstler zeigt das Virus in einer Art überbordendem Stern, dessen überdimensionierte Form nicht nur seine reale, sondern auch seine mediale Größe zeigt, die es mittlerweile erlangt hat.

Von den neun Bildmotiven zeigen acht typisch menschliche Reaktionsmuster auf die Existenz des tödlichen Virus. Von anfänglich überheblichen und geselligen Zweifeln (Stichwort: Corona-Partys) gegenüber den Expertenratschlägen, über die Ängste und Panikzustände bei unerwarteter Viruserkrankung bis hin zur Trauer über den Verlust von Mitmenschen zeigt der Künstler das weite Spektrum menschlichen Verhaltens angesichts der wachsenden Bedrohung durch das Virus und wie es das gesellschaftliche und individuelle Leben zunehmend einschränkend beherrscht.

Es sind verstörende Motive, weil sich einerseits in den durchweg farbintensiven und farbexpressiven Sujets das für viele von uns gewohnte pralle, reiche und sozial(digital)vernetzte Leben westlicher Couleur spiegelt und anderseits der schleichende Zersetzungsprozess des tödlichen Virus allmählich sichtbar und spürbar wird. Schwebt anfangs die Bedrohung noch über dem sozialen Verbund von Familien, Städten, Dörfern, Vereinen, religiösen Gemeinschaften, Firmen, Stammtischen, Parteien, Bordellen und allen anderen Formen des gesellschaftlichen Miteinanders, schleicht es sich allmählich ein und zersetzt die gewohnten und damit verlässlichen Muster unserer Beziehungsstrukturen. Paare entfernen sich voneinander, nicht weil sie im Streit liegen, sondern weil die Viruserkrankung den Kontakt unmöglich macht. Städtisches Leben zerfällt, weil sämtliche Orte des sozialen Miteinanders geschlossen werden, berufliches Leben, wo überhaupt möglich, vorwiegend nur noch im firmenfernen Home Offices stattfindet, um mögliche Infektionsketten zu bannen. Menschen vereinzeln im privaten wie beruflichen Leben, sind bei Verdacht in staatlich verordneter oder selbst gewählter Quarantäne allein mit ihren Ängsten und Paniken und sterben im schlimmsten Fall isoliert auf einer Krankenstation, ohne Beistand und Trost. Im Tod ist das Beisammensein wieder möglich.

In einem eklatanten Gegensatz zu diesen acht düsteren Bildsujets, steht das neunte Bildmotiv. Es hebt sich von allen anderen dadurch ab, dass es keine soziale Situation, sondern eine Landschaft darstellt. Über blauen Bergen, grünen Wäldern, rötlich-braunen Felder in einem lila Himmel schweben überdimensioniert groß fünf Coronaviren wie Sterne, allesamt mit Engelsflügeln, als kämen sie, um der Natur Segen zu bringen und ihr zu sagen: „Fürchte Dich nicht“.

Was angesichts des Virus für die menschliche Existenz eine Bedrohung darstellt, scheint für die Natur ein Segen zu sein. Berge erwachen, Fauna und Flora blühen auf, der Himmel wird klarer, Flüsse, Bäche und das Grundwasser erholen sich von den Belastungen des Abwassers und Mülls, kurzum: Die Erde atmet auf, während der Mensch ächzt unter dem Joch des Virus. Die Natur holt sich in Gestalt des Virus zurück, was der Mensch ihr vielerorts verwehrt.

Oder man könnte meinen, sofern man an einen Schöpfergott glaubt, dass dieser gerade eine Korrektur seines ursprünglichen Plans vornimmt und den Menschen, den er einst als Krone der Schöpfung gedacht hatte, absetzt oder ihn zumindest für eine Zeit pausieren lässt, um über seine ihm zugedachte Verantwortung erneut nachzusinnen. Angesichts nie zuvor dagewesener Naturzerstörung, Überbevölkerung und industriell gesteuerter Lebensmittelproduktion wäre es dringend an der Zeit dazu. Der ‚Fortschritt‘ stagniert, der Mensch pausiert und vielleicht nutzt er die Chance, über seine Verantwortlichkeit für die Erde nachzusinnen. So gesehen wäre der Virus-Überfall ein Segen und eine Chance für die Natur und für den Menschen, der selbst auch Natur ist.

von Kurt Freitag

Kurt Freitag ist ein essayistisch veranlagter Gelegenheitsschreiber gemäß Clarice Lispectors Credo: „Ich schreibe nur, wenn ich Lust dazu habe. Ich bin ein Amateur und bestehe darauf, das auch zu bleiben. Ein Profi hat eine persönliche Verpflichtung zum Schreiben. Oder eine Verpflichtung gegenüber jemand anderem, um zu schreiben. Was mich betrifft … ich bestehe darauf, kein Profi zu sein. Um meine Freiheit zu behalten.“ In diesem Sinne entstehen seine Texte zur Kunst, zum Leben und zu diesem Werk Corona IX.